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...immer in Bewegung bleiben

Jahresausstellung 2007 - Klasse Jetelova

Ein Knarren und Quietschen tönte aus dem Raum der Klasse von Magdalena Jetelova. Die Ursache war beim Eintreten nicht zu übersehen: Auf großen stählernen Kufen schaukelte die Karosse eines beliebten, wenn auch inzwischen im deutschen Straßenverkehr fast ausgestorbenen französischen Kleinwagens. Das Schaukeln wurde nicht durch irgendwelche Vorrichtungen erzeugt, sondern musste von den Besuchern selbst in Gang gesetzt werden, indem sie den Wagen bestiegen, sich auf den platten Boden im Inneren setzten und vor und zurück wippten. Sitze gab es keine, jedoch das Lenkrad und das Armaturenbrett mit dem Schalthebel waren noch vorhanden, sodass der Blick aus der Windschutzscheibe eine halbwegs gewohnte Perspektive hatte. Nur: Trotz mehr oder weniger heftigen Schaukelns kam das räderlose Vehikel natürlich nicht voran. Wie auf einer Gartenschaukel war man immer in Bewegung, wechselte die Perspektive jedoch nur in vorgegebenem Rahmen, also auf und ab, und blieb letztlich an einem Ort.
Selbstverständlich kommt zum Spaß- und Spielcharakter, den die Arbeit ausstrahlt, wie bei jedem guten Spiel eine ernste, symbolische Ebene. Die auf Kufen montierte alte Renault-Karosserie gehörte einmal zu Tassilo Letzels eigenem Auto, war langjähriger Besitz, stellt also einen persönlichen Gegenstand dar. Dieser enge Bezug ist zwar am Gegenstand nicht abzulesen und für das Erlebnis des Publikums mit der Arbeit auch nicht wichtig. Für die Entwicklung der Arbeit spielte der Umstand jedoch eine Rolle. Nun. im Kunstkontext, wird aus dem Persönlichen ein Angebot für das Publikum, eigene Erfahrungen zu machen. Die vielfältigen Gebrauchs- und Alterungsspuren, vom zersprungenen Scheinwerfer bis zum verrosteten Spiegel, geben der ansonsten durch die helle Lackierung sehr neutralen Form eine Patina; sie sind wie die Falten und Narben am Körper dieses Wesens (in diesem Zusammenhang kann man durchaus auch feststellen, dass ja insbesondere bei älteren Autos die Front gerne wie ein Gesicht betrachtet wird, mit Scheinwerferaugen und Kühlermund). So hat das ehemalige Fahrzeug eine Persönlichkeit, die aber genau auf jene Grenze geführt ist, welche es gleichfalls zu einer Projektionsfläche für das machen kann, was das Publikum selbst mit dem Objekt und der Situation verbindet. Auf viele Besucher mag das Auto auf Kufen kurios und altertümlich wirken, auf andere nostalgisch, auf wieder andere melancholisch. Kennt man ein solches Auto oder seine entsprechende Verwandtschaft anderer Fabrikate noch, ist selbst einmal damit gefahren, wird man sich vielleicht schlicht an das schaukelnde, wippende Fahrverhalten, an beschlagene Scheiben und krachende Gänge erinnern – oder einen speziellen Geruch nach Metall und Öl, wie ihn heutige Automobile schon lange nicht mehr haben. Dann ist man in Gedanken in Bewegung, zurückgekehrt in der Erinnerung, und schaukelt sozusagen zwischen damals und heute. Was hat man gewonnen im Lauf der Zeit, was verloren? Schließlich könnte der Schaukel-Renault auch für eine Stagnation stehen, eine Bewegung, die zwar spaßiger Zeitvertreib ist, die jedoch keine Fortbewegung von A nach B ermöglicht. Würde man die stählernen Kufen weiterführen, ergäben sich am Ende zwei komplette Kreise, die wie Schienen wirkten, auf denen der Wagen sitzt. Die Karosserie sähe aus wie ein Hamster im Rad, der ein populäres Symbol für die leer laufende Bewegung ist.

Jochen Meister - 2007

2013 wurde "...immer in Bewegung bleiben" von der Offenbacher Heyne Kunstfabrik angekauft.
Im Juli 2013 wurde "...immer in Bewegung bleiben" auf dem Campus Rietberg der Goethe Universität in Frankfurt/Main aufgestellt.
Siehe Link
Wegen andauernden Beschädigungen durch Vandalismus steht die Skulptur seit September 2014 in veränderter Form öffentlich zugänglich in Bad Orb bei Frankfurt/Main.